Öffentlicher Raum als Voraussetzung urbanen Lebens
Der Sindelfinger Marktplatz hat seine Funktion als historisches Marktzentrum erst spät und außerhalb der eigentlichen Altstadt gefunden. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass der Platz lange Jahre als Viehmarkt und mit der Kelter und seinem großen, kommunalen Schafstall der wichtigste Platz des bäuerlichen Sindelfingens war. In den letzten Jahrzehnten wurde er dann vor allem für das öffentliche Leben und die Bürgerbegegnung von großer Bedeutung, da die Einkaufsmöglichkeiten mehr und mehr in private, merkantile Räume und an die Peripherie der Stadt verlagert wurden.
So spielt der Markplatz vor allem als Platz für den Wochenmarkt eine große Rolle im alltäglichen Leben der Stadt. Allerdings sind auch hier neue Akzentsetzungen und Ergänzungen notwendig, die diese Funktion stabilisieren und in die Zukunft führen können.
Darüber hinaus ist der Marktplatz einer Stadt traditionell der Ort, an dem die neueste, die aktuellste und wichtigste Information oder der hintergründigste Tratsch erwartet werden kann. Diese Erwartung löst der Sindelfinger Marktplatz tendenziell ein mit Buchhandlung, i-Punkt, Galerie und Gastronomie sowie dem regelmäßigen Marktgeschehen und den vielfältigen Info-Ständen von Parteien und Vereinigungen. Allerdings: nicht in allen Schichten und Ethnien unserer Stadtgesellschaft.
Als einziger großer Freiplatz in der Innenstadt ist der Marktplatz unentbehrlich für Veranstaltungen
und Feste, die in ihrer Vielfalt für die Identitätsbildung unserer Bürgerschaft wichtig sind: Straßenfest, Schlemmermarkt, „Sindelfingen rockt“, Weindorf, Weihnachtsmarkt usw. finden hier die nötige Fläche für einen erfolgreichen Verlauf. Um dem Marktplatz allerdings auch im Alltag eine solche Wirkung entfalten zu können, fehlt es dem Marktplatz bisher an der nötigen Atmosphäre und Aufenthaltsqualität.
Geographisch ist der Marktplatz traditionell auch der Platz, von dem aus sich die Wege und Beziehungen zu anderen wichtigen Orten in der Stadt eröffnen und Orientierung und Verteilung geschieht. So auch in unserer Stadt: Martinskirche, Rathaus, Altstadt, Alter Friedhof, Wettbachplatz, Schulen, Mercedesstraße mit ZOB, S-Bahnhof, Mercedeswerk, die Stadtteile der Kernstadt sind hier angebunden.
Vor welchen Aufgaben stehen wir beim Marktplatz?
Dem Platz fehlt im alltäglichen die Aufenthaltsqualität. Er erfüllt deshalb nur beschränkt den Anspruch, der an einen so zentralen, multifunktionalen und für die Stadt bestimmenden Platz gestellt wird. Außerhalb der Markttage oder ohne besondere Anlässe ist der Platz nahezu leblos.
Das gestalterische Konzept ist bescheiden und beschränkt sich auf Bauminseln. Der Freundschafts-brunnen und das Funktionsgebäude sind beziehungslos zur Raumgeometrie platziert und korrespondieren weder funktional noch ästhetisch. Sitzgelegenheiten ohne Konsumzwang sind kaum vorhanden. Eine Infrastruktur für Fahrräder ist kaum vorhanden. Die Pflasterung ist nicht fußgänger-freundlich, teilweise gefährlich und zeugt in den Randbereichen eher von Vernachlässigung.
Was sollte geschehen, damit der Marktplatz die Funktion einer zentralen Begegnungsstätte Sindelfingens ausfüllt und den multifunktionalen Nutzungsansprüchen gerecht wird?
Für die Funktion als Marktplatz …
… muss der Platz an den Marktagen mit dem LKW zu befahren sein, was entsprechende Anforderungen an Material und Gestaltung der Oberfläche bedeutet. Der Markt sollte sowohl bei den Markt-beschickern als auch bei den Angeboten vorsichtig in Richtung stärkerer Internationalität verschoben oder ergänzt werden, um neue Kundenkreise und Generationen an den Markt heranzuführen.
Eine weitere Ergänzung des Marktes sehen wir in der Schaffung einer kleinen Markthalle („Basar-Stil“), die über die ganze Woche hinweg ein Angebot an frischen Lebensmitteln anbieten würde und dem Markt einen Aspekt der Internationalität hinzufügen würde. Solch eine Markthalle würden wir nicht auf dem Marktplatz, sondern in einem der angrenzenden Gebäude verorten – zum Beispiel dem ehemaligen Central-Kino. Eine Bebauung des Marktplatzes mit einer Markthalle oder eine Überdachung des Marktplatzes sehen wir kritisch, weil im Widerspruch zum Ansatz der Multifunktionalität.
Der Geschäftsbesatz auf der südlichen Seite des Marktplatzes muss entscheidend verbessert werden. Vielleicht gelingt es, in Zusammenwirken mit dem Investor und
den Mietern und Inhabern des Gebäudes Böblinger Straße 2 und der Confiserie Kugel, hier eine qualitative Entwicklung anzustoßen.
Will man Aufenthaltsqualität, Atmosphäre und Identifikaktion …
… so sollte man Bezug nehmen auf die zentrale Position des klassizistischen Rathauses mit Städtischer Galerie als gestalterischen Fixpunkt des oberen Platzabschlusses. Vielleicht könnte dies durch spielerische Architekturzitate des Rathauses erreicht werden.
An den Längsseiten sollte durch entsprechende planerische Festsetzungen eine wertige und sich in Material und Formensprache ergänzende Frontbildung der Gebäude sichergestellt werden. So könnte der Platz mehr Urbanität und Ausstrahlung erlangen. Hier ist eine langfristige Planung erforderlich,sowie der Wille, sich von Fall zu Fall durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts Gestaltungsmöglichkeiten zu sichern.
Die bestehende und auszubauende Außengastronomie an den Seiten wäre attraktiver zu gestalten, mit neuer Bepflanzung, Sitzgelegenheiten und variablem oder integriertem Sonnenschutz. Hier muss der Platz grüner werden.
Der Marktplatz als Begegnungsraum für alle verlangt …
… einen einladenden Aufenthaltsbereich ohne Konsumzwang. Feste und bewegliche Sitzgelegenheiten können im unteren Platzbereich z.B. um einen (Spring-)Brunnen oder eine Wassertreppe angeordnet sein und damit eine frühere Brunnenanlage auf dem Planie-Dreieck aufgreifen. Wir bitten dabei dringend, den gesamten Platz nicht mit einer für die gesamte Innenstadt geltenden uniformen Möblierung auszustatten.
Ein „Politischer Platz“ angelehnt an die griechische Agora, Speakers Corner oder die jetzige Info-Stand-Tradition könnte im Bereich zwischen altem Rathaus und Kreissparkasse durch entsprechende, interessante Objekte und die Funktion bewusst unterstützende Gestaltung ausgewiesen und symbolisiert werden.
Der Bodenbelag kann in seiner Ausführung den Platz in die verschiedenen Nutzungsbereiche gliedern und könnte z.B. mit einer Windrose oder Kompassrosette sowohl auf die Zentralität des Platzes als auch auf die Richtung und Entfernung zu den Stadtteilen und den verschiedenen Partnerstädten hinweisen.
Die Gliederung ist auch über die Topografie wie z.B. Stufen oder auch Wasser denkbar, fließend oder in einem Brunnen gefasst. Kunstobjekte oder Brunnen müssen in das Gestaltungskonzept integriert werden und können in ihrer Thematik auf ihre möglichen Nutzungsbereiche verweisen.
Für Veranstaltungen, Feste und Events auf dem Platz müssen wir …
… sicherstellen, dass die spezifischen technischen, logistischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen stimmen und so die Bespielung des Platzes erleichtert wird.
Es muss eine variable Nutzung und veranstaltungsspezifische Ausgestaltung möglich sein,
die den Interessen der Veranstalter folgt. Neben großen Veranstaltungen über den ganzen Platz
wäre zu prüfen, ob sich auch Nischenveranstaltungen, die kleinere Flächen benötigen, ansiedeln ließen ohne sich „verloren“ vorzukommen.
Selbstverständlich sind auch Sicherheitsaspekte bei Veranstaltungen bei einer Neugestaltung zu berücksichtigen.
Was wir unabhängig von großen Veränderungen vorschlagen würden: Bei größeren Veranstaltungen die Bühne an den unteren Rand des Marktplatzes zu stellen, da die der Topografie folgend eine bessere Sicht auf die Bühne erlaubt.
Wir brauchen Änderungen bei der Verkehrsführung. Zur Stärkung des Marktplatzes …
… muss der Platz mindestens am unteren Ende weitgehend verkehrsfrei gehalten werden. Dies kann erreicht werden durch die Umnutzung der Planiestraße zu einem verkehrsberuhigten Bereich oder zu Fußgängerzone.
Am weitesten ginge die Schließung der Tiefgaragenspindel. An dieser Stelle könnte dann ein eigener Platz mit neuen Blickbeziehungen die Planie aufwärts gestaltet und die Verbindung zum Voba-Post-Areal geschaffen werden.
Dringend notwendig ist es, den Marktplatz und die zu ihm führenden Verbindungen für Fahrräder attraktiver zu machen. Dies bedeutet: Abstellmöglichkeiten, Wegeführung, Priorisierung, Sicherheit.
Eine Anmerkung zum Schluss:
Den Bereich der unteren Planie, den wir in Verbindung mit dem historischen “Burg”-Areal sehen, betrachten wir nicht als Teil des Marktplatzes. Er hat eine eigene, andere Funktion und hier brauchen wir eine eigene, spezifische Gestaltung. Wir deuten diese hier nur an: Hier muss vom Rathaus aus betrachtet ein moderner, architektonischen Kontrapunkt zur klassizistischen Rathausfront gesetzt werden. Dies mag geschehen am unteren Rand des Marktplatzes oder am Rand der Altstadt.
In jeden Fall ist die untere Planie einer grundlegenden Neugestaltung zuzuführen, die in ihrem Erscheinungsbild den Bezug zur dahinter liegenden „Burg“ modern interpretiert, sowie den Eingang zur Altstadt eindeutig und adäquat hervorhebt. Dabei sollten diese Formen nicht eine zukünftige Sanierung und Gestaltung des historische bedeutsamen “Burg”-Areals, das hinter Wassergraben und Stadtmauer lag, aus dem Auge verlieren.
Wir-alle-sind-die-Stadt – Stand 13.03.2021
Autoren: Gert Zimmermann, Klaus Philippscheck, Herbert Rödling